Unter den Gleisen des Hamburger Hauptbahnhofes, in düsteren Gewölben, habe ich Lyrik gefunden. Erst sichtbar, wenn sich die vom Sonnenlicht geblendeten Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben. Was ich mit bloßem Auge erkennen konnte war „Verwisch die Spuren“. Erst dachte ich an den niedergeschriebenen Rat eines alten Hasen von Straße. Dann fand ich heraus: Es ist Brecht. Oder eine vegetarische Interpretation davon.
Verwisch die Spuren!
Trenne dich von deinen Kameraden auf dem Bahnhof
Gehe am Morgen in die Stadt mit zugeknöpfter Jacke
Suche dir Quartier, und wenn dein Kamerad anklopft:
Öffne, oh, öffne die Tür nicht
Sondern
Verwisch die Spuren!Wenn du deinen Eltern begegnest in der Stadt Hamburg oder sonstwo
Gehe an ihnen fremd vorbei, biege um die Ecke, erkenne sie nicht
Zieh den Hut ins Gesicht, den sie dir schenkten
Zeige, oh, zeige dein Gesicht nicht
Sondern
Verwisch die Spuren!
Iß das Fleisch, das da ist! Spare nicht!
Gehe in jedes Haus, wenn es regnet, und setze dich auf jeden Stuhl, der da ist
Aber bleibe nicht sitzen! Und vergiß deinen Hut nicht!
Ich sage dir:
Verwisch die Spuren!Was immer du sagst, sag es nicht zweimal
Findest du deinen Gedanken bei einem andern: verleugne ihn.
Wer seine Unterschrift nicht gegeben hat, wer kein Bild hinterließ
Wer nicht dabei war, wer nichts gesagt hat
Wie soll der zu fassen sein!
Verwisch die Spuren!Sorge, wenn du zu sterben gedenkst
Bertolt Brecht
Daß kein Grabmal steht und verrät, wo du liegst
Mit einer deutlichen Schrift, die dich anzeigt
Und dem Jahr deines Todes, das dich überführt!Noch einmal:
Verwisch die Spuren!